Einführung : Automation im Briefbearbeitungsbereich
Im Briefbearbeitungsbereich - sozusagen dem Postschalter nachgelagert- bestand bereits Mitte des 19.Jahrhunderts ein besonderes Interesse der Post an Automationsmöglichkeiten, um spez. die Briefstempelung zu erleichtern. Die besonders in großen Städten (z.B. Hamburg, Berlin u.a.) in erheblichen Mengen anfallende Post – es wurde anfänglich ferner sogar mehrfach täglich zugestellt - musste dazu in Handarbeit sortiert und bearbeitet werden.
Auf der Postmuseumskarte von 1984 der Dt. Postreklame GmbH sieht man auf einem Zeitungsholzschnitt von 1900 in einen „Brief=Sortir=Saal“ im Berliner „Haupt=Postamts=Gebäude“ als Maximumkarte zur passenden Briefmarke anlässlich des Weltpostkongresses in Hamburg 1984.
Die Eingangspost erhielt ja noch anfänglich einen Eingangsstempel und die ausgehende Post musste ferner mit einem Entwertungsstempel versehen werden und dies alles in Handarbeit.
Erstmals in Deutschland bot der Hamburger Kaufmann
Hinrichsen ab 1866 der Post Briefstempelmaschinen an von „ construirten Maschinen des Graveurs Maahs“, für die er wohl das Patent besaß.
Bei bestehendem Interesse an den
Hinrichsen- Stempelmaschinen ist die Lektüre dazu von
Dr. W. Kohlhaas und Inge Riese im Umfang von allein 80 Seiten höchst interessant und ein durch nichts zu ersetzendes Standardwerk, erschienen als Band 32 in der INFLA Bücherei
des Vereins der Deutschlandsammler e.V.
Abgebildet ist ein Brief aus der Erprobungsphase in Hamburg vom 29.01.1868 bis 14.02.1868 mit Datum vom 12.02.68 als Abgangsstempel im Norddeutschen Postbezirk
(Bugspur).
Da die Stempelmaschine mit drei Leuten im Briefabgangsbereich bedient werden musste,
hatte sie „
gemessen in Unterbeamtenkräften nach Stundenleistung“ keine echte Chance der Durchsetzung in Konkurrenz zum Handstempelverfahren! Im Briefeingangsbereich sah die Angelegenheit etwas besser aus ( „Stempel egal wo“ auf der Rückseite) und im „
Einheitsformat der Lotteriepost“ war auch im Briefabgangsbereich
der Einsatz der Hinrichsen- Briefstempelmaschine wirtschaftlich sinnvoll.
Das Kapitel Briefstempelmaschinen in Deutschland ist sehr komplex und in einer Einführungsvorstellung soll hier nicht auf die weiteren Maschinen von
Hoster (1885 bis 1887), Haller (1881 bis 1908), Bickerdike (1898 bis 1917), Columbia ab 1901, Sylbe und Krag ab ca. 1906 eingegangen werden. Es sei an dieser Stelle auch noch einmal auf die expliziten Ausarbeitungen von
Riese u. Kohlhaas zu diesen Briefstempelmaschinen verwiesen.
Teils gab es auch noch sehr kurzfristige Einsatzzeiten von Briefstempelmaschinen mit „episodenhaften Gastspielen“ spez. im Bereich von Berlin. Hier sollen die Namen
Hey-Dolphin und Rüttger erwähnt werden
.
Mit der erfolgreichen Testung der nordamerikanischen „Universal- Poststempelmaschine“ ab 1911 wurde praktisch die zukünftige Standardmaschine der deutschen Post zur Briefbearbeitung eingeführt.
Postkarte mit Abstempelung durch Universal- Briefstempelmaschine mit Datum 26.9.1911
Mit Reparatureinsatz und Verbesserung zu dieser Maschine kommt erstmals der Name des Ingenieurs Heinrich H. Klüssendorf aus Berlin- Spandau in Erscheinung. Ab ca. 1920 dominiert Klüssendorf mit dieser Stempelmaschine durch entsprechende Umrüstung und eigene Patentierung das Stempelgeschehen hinter dem Schalter der deutschen Post eindeutig.
Klüssendorf war für die dt. Post Ansprechpartner und Entwickler über Jahrzehnte in zahlreichen Objekten bis hin zur Entwicklung der ersten deutschen Münzwertzeichendrucker (s. Kapitel MWZD K 631,667, 651, 696 u.829). Wie man an der Adresse des obigen Briefes erkennen kann, war Klüssendorf nicht nur mit der „friedlichen Post“ in Geschäftskontakten!
März 1995 war für den Weltmarktführer in Poststempelmaschinen - gegründet 1913 - der überraschende Konkursantrag fällig. Klüssendorf stolperte nicht im Postbereich sondern angeblich über einen verzögerten Auftragsverlauf für mexikanische Fahrscheinautomaten und begleitende Währungskrise.
Die uns schon bekannte Fa. Nagler übernahm die Konkursmasse Klüssendorf und musste ihrerseits August 2001 Insolvenz beantragen ( s. Kapitel Nagler N104).
Nagler wurde durch die Fa. Automatentechnik Baumann übernommen, die in ihrem Angebot der Postautomaten u.a. die Briefstempelmaschine „1637“ aktuell unter dem Begriff „
ehemals Typ Klüssendorf“ vertreibt!
Die Schwierigkeiten der Briefstempelmaschinen, in den Anfängen ihrer Entwicklung mit „Nadeltransportierung“, Formatproblemen und Briefvolumenproblemen belastet, sind mittlerweile größtenteils gelöst. Die Entwicklung von Briefaufstellmaschinen mittels „hell-dunkel- Verfahren“ und später eingeführter Fluoreszenzkennung sollten folgen. Dennoch haben wir noch nicht Entwicklungsstillstand im Briefstempelbereich erreicht.
Erst im
November 2007 wurde eine neue Technik probeweise eingeführt in München und Nürnberg zur Entwertung mittels Tintenstrahldruck und damit einer berührungslosen Abstempelung. Diese neue Technik hat ihre Pilotphase noch nicht beendet ( Stand März 2008) und ist zunächst auf „Maxi- und Großbriefe“ begrenzt.
Die automatische Briefabstempelung mit Verarbeitungsleistungen bis 30.000 Sendungen pro Stunde setzt die entsprechende Briefaufstellung voraus. Auch wenn ein Großteil der täglichen Post im Sinn der Maschinenverarbeitung in einem freundlichen DIN A6 Format anfällt, helfen Formattrennmaschinen vor der kombinierten Aufstell- und Briefstempelanlage die restlichen Umschläge auszusondern. Zur Briefaufstellung in stempelgerechter Form wurde anfangs die fotoelektrische Kontrastmessung zwischen Briefmarke und Briefumschlag genutzt (STANDARD ELEKTRIK LORENZ, SEL). Die Versuche liefen u. a. von 1958 bis 1962 im Postamt Berlin SW 11 und der dazugehörige Maschinenstempel zeigte anfangs die Stempelkennung „xyz“.
Besser ist jedoch die einwandfreie Briefaufstellung durch Fluoreszenzkennung zu erreichen. Ab 1960 arbeitete nach Vorarbeiten im PTZ die dt. Post mit fluoreszierendem Briefmarkenpapier. Mit zahlreichen Marken spez.
Heussausgaben wurde experimentiert. Auch noch später (1964/1965) wurden zur
Prüfung von Fluoreszenzintensität Marken eingesetzt z.B. aus der Serie „Dt. Bauwerke Berlin“ ohne Werteindruck mit „Entwertet- Handstempel“ in schwarz.
Hier Markenvordruck (Treptower Tor in Neubrandenburg)
Berlin ohne Werteindruck in dunkelblaugrün
Neben der Briefstempelung ist die weitere Automatisierung in der Zustellsortierung im Posteingangs- und Postabgangsbereich ein zentraler Punkt auf der Wunschliste jeder Postverwaltung.
Frühe Bestrebungen zur Codierung mit einer vereinfachten Zustellmöglichkeit durch Kennzeichnung spez. mit roten Buchstabenkombinationen zeigt uns die Entwicklung der Transorma – Direktverteilanlage Rotterdam im Jahr 1927. Berlin Postamt Steglitz und Mönchengladbach erhielten 1942/1943 eine solche Briefdirektverteilung im Zustellbereich.
Dtl. erkennbar auf dem Brief nach Berlin- Steglitz v. 23.10.1943 die
rote Kennung AU
Weitere Direktverteilanlagen in Deutschland z.B. Köln, Dortmund, Ulm, Frankfurt, Berlin und Mannheim gab es ab 1952 (Besprechung vorgesehen). Eine wesentliche Erleichterung in der Abgangssortierung war die Einführung von Postleitzahlen (PLZ). Im Dt. Reich für Paketversand 1941 erstmals weltweit eingeführt und im Briefverkehr ab 1944.
Reklame 1943 zur PLZ- Verwendung auf Feldpostbriefumschlag
Das Briefzustellkonzept der Dt. Post führte nach entsprechenden Überlegungen und auch Studien des PTZ zum Auftrag an die elektrotechnische Maschinenbauindustrie Briefsortieranlagen zu entwickeln. Danach waren ab 1957 anfänglich 3 namhafte Firmen SEL, AEG- Telefunken und Siemens in der grundlegenden Neuentwicklung elektronischer Briefsortierung involviert und einbezogen. Codierungs- und Verteilungskonzepte waren entwicklungstechnisches Neuland. Die Fa. Siemens & Halske - Werk für Fernsprechtechnik - war nach entsprechender Entwicklung Ende 1960 in der Lage in München beim Postamt 2 – Hopfenstrasse- in die praktische Erprobung zu treten. Betreut durch die Firmeningenieure standen in München
Codierplatz und Briefverteilung in getrennter Version ohne automatische Briefzuleitung über Förderbänder. Formattrennanlage war ebenfalls nicht vorgeschaltet.
Der
manuelle Codierplatz war in der Briefzuführung auf 5000 Briefe pro Stunde ausgelegt. Während der untere Brief fertig gestellt wurde, konnte schon der nächste obere Brief adressenmäßig optisch erfasst werden. Das Druckwerk zur Codierung war linksseitig vom Codierplatz angeschlossen.
Codiert wurde eine 4stellige Ziffernfolge z.B. später aus 4stelliger PLZ im Abgang oder bei Eingangszustellung wurde aus einem „Strassenextraktcode“ 4 Buchstaben in festgelegter Reihenfolge 4 Ziffern zugeordnet.
Dabei wurde jede Ziffer 0 bis 9 durch einen „2-aus-5-Code“ durch 2 Striche dargestellt. Bei fünf Druckpositionen können so zehn verschiedene Kombinationen und damit 10 verschiedene Ziffern eindeutig belegt werden.
Die Druckstriche wurden mit lumineszierender oder magnetisierbarer Farbe ausgeführt.
Anfangs wurden im Nassdruckverfahren von Gewebestreifen die Farbbalken als Strichcode auf das Adressfeld des Briefes aufgedruckt. Versuchsbriefe mit Adremaadressen zeigen die Strichbalken in einer Höhe von 6 mm und in einem Abstand von 5 bis 6mm - s.folgende Abb.
Versuchsbrief München mit Nassdruckcodierung
Die farbigen Textilbänder waren sehr verschleißanfällig und wurden ab 1961 durch Kunststofffolien ersetzt, die mit lumineszierender oder magnetisierbarer Farbe beschichtet waren. Dabei sorgten auf 160 Celsiusgrade erhitzte Druckstempel für die Farbübertragung.
Postkarte mit Magnet- Strichcode
Während der Erprobungszeit in der Hopfenstrasse wurde auch reguläre Eingangspost für die Postbezirke München 20, 33, 34, 35 und 37 versuchsweise eingangscodiert und zugestellt.
Mit codierter Brief- oder Versuchspost wurde dann der Briefverteiler
manuell in München zur automatischen Weiterverarbeitung von oben her bestückt und gefüllt.
Werksfotos ( Codierplatz und Briefverteiler ) Siemens & Halske, Werner Werk
Vom oberen Drehkranz wurde die Post auf die 100 unteren Fächer verteilt. Nach
Aktivierung der Codestriche durch ultraviolettes Licht oder Dauermagnet konnten entweder Fotowiderstände oder Magnetköpfe die Codes abfragen und damit die Briefe durch Öffnung zugehöriger Bodenplatten den passenden Verteilungsschächten zuführen.
Ihren regulären ersten Routineeinsatz
mit über Förderbänder verbundenen Codier- und Verteilanlagen hatte die deutsche
Post 1965 im Postamt Pforzheim.
Ganz aktuell verweise ich in diesem Zusammenhang auf die Neubearbeitung im Handbuch der Arge Briefpostautomation von W. Oschewsky und H. Friedberg 2007 hin:
DIE AUTOMATISCHE BRIEFVERTEILUNG IM POSTAMT 753 PFORZHEIM 1 von1965 bis 1998.
Hier liegt nicht nur ein Standardwerk zur ersten regulären Briefverteilanlage vor, sondern es beschreibt auch die Umrüstung auf die weitere technische Entwicklung zur Linearcodierung mit der neuen AEG- Telefunken- Briefverteilanlage ab 1981 in Pforzheim. Denn Siemens & Halske stellte 1967 die Maschinenproduktion zur Briefverteilung ein und verkaufte seine Lizenzen.
Jedoch soll an dieser Stelle rasch noch an die wichtigen Arbeiten zur automatischen Ziffern- Leseeinrichtung von Siemens & Halske 1960/61 erinnert werden, eine Voraussetzung zur weiteren vollautomatischen heutigen Briefverteilung.
Die erste Maschine zur Linearcodierung mit Tintenstrahldruck wurde 1978 nach intensiven Vorarbeiten von PTZ und AEG- Telefunken beim Postamt Wiesbaden installiert.
Versuchsbrief Jan. 1978 mit Linearcodierung Wiesbaden
und Klartext- Aufdruck "2280 WESTERLAND"
Die Deutsche Postreklame GmbH in Frankfurt gab passend dazu eine Postmuseumskarte zum Weltpostkongress 1984 als Vorlage zu einer Maximumkarte heraus, die sich auf ein Foto des optischen Anschriftenlesers in Wiesbaden 1978 bezog.
Mit Beginn der
aktuellen Linearcodierung möchte ich die Einführung in das komplexe Kapitel Briefbearbeitung begrenzen. Detailausarbeitung ist geplant.